Unternehmen als Marke denken

Gastbeitrag von Mirco Larsen

Man kann vieles über die Gründe für den Fachkräftemangel sagen, die Schuld bei der Arbeitsmoral von heute suchen oder alles auf den demografischen Wandel schieben. Man kann wunderbar jammern. Die Gewerkschaften, Verbände oder sogar die Regierung werden das Problem nicht lösen. Den Unternehmer:innen aus der Baubranche wird nichts anderes übrig bleiben, als das Problem selbst anzugehen. Dafür bedarf es Umdenken und Akzeptanz des Umstandes, dass es aufgrund des Überangebots an Arbeitsplätzen die Unternehmen sind, die sich bei Arbeitnehmer:innen bewerben und nicht umgekehrt.

In vielen geführten Gesprächen mit Geschäftsführer:innen aus dem Tiefbau zeichnet sich ab, dass man in der Regel noch in Wertvorstellungen vergangener Zeiten denkt. Der Blick auf Angestellte ist noch viel zu oft der eines Patriarchen. Aussagen wie „die können doch dankbar sein, dass sie Arbeit haben“, „es gibt doch bei uns schon jeden Morgen Kaffee und wir haben die neuesten Maschinen – die sollen mal aufhören, sich zu beschweren“, „wir bezahlen schon über Mindestlohn und trotzdem sind die weg, sobald ein anderer 20 Cent mehr zahlt“, sind Standard. Doch Geld ist heute nicht mehr der einzige Antrieb, für den Jemand acht Stunden seiner Zeit hergibt. Heute wird nicht in Geld für Arbeitszeit, sondern in Gegenleistung für Lebenszeit gedacht. Arbeitgeber:innen müssen daher mehr bieten als freien Kaffee und faire Bezahlung. Es geht um Sinn und Perspektive. Auch im Bau.

Die Baubranche weist das gerne mit Sätzen wie „aber unsere Branche ist da schon speziell“ zurück, – es hilft nur leider nichts. Jede Branche ist speziell und hat ihre Eigenarten, doch Kommunikation und Beziehungen sind immer gleich: Sie findet zwischen Menschen statt. Und so sollte man auch das Verhältnis zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden betrachten. Als Verhältnis zwischen Menschen. Wie entstehen gute Beziehungen? Durch respektvollen Umgang, gemeinsame Interessen und Werte. Ein:e Arbeitnehmende:r entscheidet sich am Ende immer auch für einen Menschen und nicht nur für ein Unternehmen. Daher müssen auch kleinere und mittelständische Unternehmen anfangen, wie Marken zu denken und aus ihren Arbeitsplätzen echte Produkte für ihre Zielgruppe machen.

Die Lebensrealität der ab 1995 Geborenen und mit dem Internet und sozialen Medien Aufgewachsenen ist eine vollkommen andere als die, der davor Geborenen. Wer früher auf die Hauptschule ging, wurde im Grunde während seiner oder ihrer gesamten schulischen Laufbahn darauf vorbereitet, mal in einem klassischen „Arbeiterberuf“ zu arbeiten, da er oder sie vermeintlich gar keine andere Chance hatte. Das Schulsystem hat neben der sozialen Herkunft den Platz in der Gesellschaft vorgegeben. Die in einer Netzwerkkultur sozialisierten Menschen haben sich von diesen Normen gelöst und erfahren in der Subkultur von Internet-Communitys, dass es auch funktioniert.

Das Internet lehrt ab frühester Kindheit, dass einem die Welt in jede Richtung offensteht. Hat man Jugendlichen, die gerne an der Playstation gesessen haben, früher gesagt, sie sollen lieber lernen, statt die Zeit zu verplempern, hatte das eine gewisse Nachvollziehbarkeit und Berechtigung. Heute verweisen Jugendliche lächelnd auf Sportler:innen und Influencer:innen, die mit Selfies und Computerspielen Millionen verdienen. In den virtuellen Welten von Spielen wie „Fortnite“ haben sich Subkulturen und Communitys mit bis zu drei Milliarden Mitgliedern entwickelt, in die Kinder heute selbstverständlich hineinwachsen. Warum also für das Lob eines Chefs ewig buckeln und dreckig werden, wenn einem Tausende zujubeln, weil man sein nächstes TikTok-Video gepostet oder ein Deathmatch in Fortnite gewonnen hat?

Wer diese Menschen für einen Arbeitsplatz in seinem Unternehmen begeistern und halten möchte, muss ihnen authentisch begegnen. Dazu reichen gut formulierte Stellenanzeigen mit dem obligatorischen „familiären Umfeld“ und „Teamplayer“ nicht aus. Diese Begriffe werden wie Konfetti in die Stellenausschreibungen geworfen. Interessant wird es doch erst, wenn man sich als Unternehmende:r hinterfragt, was man mit diesen Begriffen eigentlich meint. Unter Teamplayer und einem familiären Umfeld versteht jeder etwas anderes. Was bedeuten diese Begriffe für ein individuelles Unternehmen?

Hinter jeder Unternehmensgründung steckt der Traum ihres Gründers oder ihrer Gründerin, eine Vision, die mit viel Leidenschaft und Fantasie ausgestaltet wurde. Unternehmen, die heute Fachkräfte finden und binden wollen, müssen sich daher zunächst fragen: Wer sind wir wirklich? Welche menschlichen Werte verkörpern wir als Organisation neben unserer professionellen Dienstleistung? Wofür stehen wir in dieser sich verändernden Gesellschaft? Aus diesen Antworten entsteht der Grundstein einer starken Arbeitgebermarke und damit für einen wirkungsvollen Recruitmentprozess.

Die Stellenausschreibung muss daher immer ein authentischer Spiegel der Unternehmenskultur sein. Beim Bewerbenden muss ein Gefühl entstehen, mit dem er oder sie sich identifiziert, welches sich beim persönlichen Kennenlernen bestätigt und im Arbeitsalltag gefühlt und gelebt wird. Das setzt Veränderungswilligkeit bei Unternehmenden und Geschäftsführenden voraus. Den Gedanken, dass man nicht mehr der- oder diejenige ist, der:die auswählt, sondern ausgewählt wird, muss man erst mal zulassen können.

Derzeit heißt es leider noch viel zu oft „Die Leute wollen heute einfach nicht mehr arbeiten“. Die Angst ist aber unbegründet. Die Menschen wollen arbeiten, sie wollen nur wissen, wofür und Teil einer größeren Idee sein. Es ist Zeit, dass sich Gründer:innen daran erinnern, warum sie einmal ein Unternehmen gegründet haben und daraus eine spannende Geschichte schreiben, an der Menschen teilhaben wollen. So findet man die Menschen, die dieselben Interessen und Ideen haben und ihre Zeit und Leistung gerne in den Dienst der Sache stellen.